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Der Traum im Zeichen der Kunst
Ein näherer Einblick 18 Jan 2021

Der Traum im Zeichen der Kunst

pablo picasso dream
Pablo Picasso, The Dream, 1910

Wie stellt man das Unbeschreibliche dar? Ist das Träumen der bevorzugte Weg des Unterbewusstseins?
In der Kunstgeschichte ist der Traum ein weit verbreitetes Thema, insbesondere die Idee des Traums und seine Bedeutung in einem Gemälde. Mysteriöse und schwer fassbare Gemälde, die den Traum zum Thema haben, stellen uns in Frage, beunruhigen und faszinieren uns gleichzeitig. Mit anderen Worten: Der Traum in der Kunst ist ein wandernder Geist auf dem Weg der Fantasie. Diese bildliche Darstellung zwingt uns dazu, die Verbindung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren zu untersuchen. Ob aus religiöser oder psychologischer Sicht, Künstler, die ihre Träume in der Malerei ausdrücken, führen uns zu Themen, die oft unberührt bleiben. Artsper lädt Sie ein, die Geschichte dieses träumerischen Phänomens in fünf wichtigen Zeitabschnitten zu verfolgen.

Die Renaissance, eine biblische und mythologische Darstellung der Traummalerei

Heute wird das Träumen oft als Manifestation des Unterbewusstseins und der Psyche wahrgenommen und ist ein Thema, das sich in der Geschichte der Kunst stark weiterentwickelt hat. Seine Darstellung hat sich daher im Laufe der Zeit gewandelt und ist dabei immer etwas weiter gefasst worden. Im Zeitalter der Renaissance wurde das Träumen ausschließlich als religiöse Erfahrung dargestellt. Das heißt, wenn die Seele in der Ruhe den Körper verlässt und höheren Wesen begegnet. In der Folge stellt die Traumkunst des 15. und 16. Jahrhunderts nicht wirklich den Traum des Künstlers dar. Stattdessen wird sie von religiösen Erzählungen inspiriert, um biblische Träume darzustellen. Das Gemälde eines Traums hatte eine besondere Bedeutung; es war ein Weg, um Zugang zur höheren Sphäre und zur göttlichen Wahrheit zu erhalten. Daher stellte der Maler des Traums, vor allem als Reaktion auf die Forderungen der Kirche, religiöse Figuren dar, die vom Neuen Testament inspiriert waren.

Der persönliche Traum wurde erst viel später legitimiert. Der erste Künstler, der einen eigenen Traum malte, war Albrecht Dürer mit seinem Aquarell Die Vision aus dem Jahr 1525. 

Raphaël zum Beispiel zeigt in seinem Gemälde Der Traum Jakobs eine perfekte Darstellung eines religiösen Traums. Die Leinwand ist verdunkelt, aber die Seele Jakobs, die von Engeln begleitet wird, ist heller und scheint in den Himmel erhoben zu sein. Zweitens symbolisiert die Treppe wirkungsvoll den Aufstieg des Geistes und den Weg zur Transzendenz.

The Dream of Jacob by Raphaël
Raphaël, Der Traum Jakobs, 1518

Träume der romantischen Künstler, die „die Welt neu erschaffen“

Mit der Romantik brachte das 18. Jahrhundert einen Wandel hin zur Freiheit des künstlerischen Ausdrucks des persönlichen Traums in der Malerei. In dieser Zeit wurde die Subjektivität zum Herzstück der Inspiration für Künstler und das Träumen zu einer unerschöpflichen Inspirationsquelle für die Selbsterforschung! Die ersten deutschen Romantiker nannten das Träumen die „Zweite Welt“. Tagträume waren für die Künstler eine Möglichkeit, sich selbst zu verlassen, um eine andere Welt zu erleben.

Die Romantiker experimentierten mit vielen Mitteln, um einen traumähnlichen Zustand zu erreichen. Der Maler Eugène Delacroix zum Beispiel war Mitglied im „Club des Haschinschins“. Dies war eine Gruppe, die sich dem Studium und der Erfahrung von Drogen widmete und in der der Arzt Moreau de Tour ihre Träume und Halluzinationen analysierte. Für die Romantiker war das Träumen eine Flucht, aber auch eine Offenbarung dessen, was tief in der Seele steckt. 

Eine perfekte Darstellung der dunklen Träume findet sich in The Nightmare. Das Werk des britischen Künstlers Johann Heinrich Füssli ist ein Traumgemälde, das das Thema einer Odaliske – einer liegenden nackten Frau – aufgreift, um die Qualen des schlafenden Geistes zu evozieren. Das Hell-Dunkel, die Verrenkungen des Körpers und die phantasmagorischen Wesen enthüllen die gequälte Seele der schlafenden Frau. So wird der Betrachter Zeuge dieses von Fussli dargestellten Alptraums, der die morbidesten und phantastischsten Elemente des Träumens veranschaulicht.

Fussli Nightmare
Johann Heinrich Füssli, The Nightmare, 1781

Auch die Künstler der Romantik erforschten ihre Träume in der Natur. Die Natur, die mit Einsamkeit verbunden war, ermöglichte es ihnen, den Herausforderungen der Gesellschaft zu entfliehen, und regte ihre Fantasie an.  

In Friedrichs Der Träumer zum Beispiel blickt ein Mann auf den Horizont und scheint in seiner eigenen Welt verloren zu sein, eine Art melancholischer Tagtraum.

der traumer friedrich
Caspar David Friedrich, Der Träumer, 1835-1840

Symbolismus, zwischen der Welt der Träume und der Albträume

Im 19. Jahrhundert stand der Traum in der Kunst im Mittelpunkt der symbolistischen Ästhetik. In Abgrenzung zu einer Gesellschaft, die sich der wissenschaftlichen Ideologie verschrieben hatte, wollte der Symbolismus die Träume des Unsichtbaren und die Geheimnisse des Unterbewusstseins erforschen. Die Themen und Gegenstände der Symbolisten erhalten erst durch ihre symbolische Darstellung eine Bedeutung. 

Der Symbolismus entstand als Reaktion auf den Naturalismus und den Realismus, künstlerische Bewegungen, die nur greifbare und sichtbare Dinge darstellten.

Odilon Redon, der von dem Kunstkritiker Thadée Natanson den Spitznamen „König der Träume“ erhielt, war eine Galionsfigur des Symbolismus. Als Künstler, Träumer und Dichter war er fasziniert von den Gefühlen und den Kämpfen des Menschseins. Seine Kunstwerke sind sehr persönlich und frei. Seine zwischen 1879 und 1899 entstandenen Lithografien mit dem Titel Noirs enthüllen eine erschütternde Welt, in der die hybriden Figuren direkt aus einem Alptraum zu stammen scheinen. Dazu gehören eine Spinne mit menschlichem Gesicht, ein fliegendes Auge, grauenhafte Chimären und sogar eine menschliche Blume. 

Odilon Redon, La Vision, 1890-1900 und L’Araignée qui pleure, 1881

Ab 1990 trat Odilion Redon aus seiner dunklen Phase ins Licht. Der Wechsel zu farbenfrohen, pastelligen Arbeiten markiert eine neue Ära der Heiterkeit. Erneut kehrt der Künstler zum Thema Traum zurück. Doch nun ist es eher ein süßer Traum, denn er malt verschwommene Formen und erstaunlich ruhige Gesichter.

Odilon Redon, La Cellule d’Or, 1893 und Le Rêve, 1905

Unbewusstes und Traumkunst im Surrealismus 

Erlaubt uns das Träumen den Zugang zur absoluten Realität? Diese Frage stellte sich André Breton, ein Vorläufer des Surrealismus. Für ihn bestand das Wesen der Bewegung darin, das Reale und das Imaginäre wieder zu vereinen. Die größten Maler von Träumen sind auch Surrealisten: Salvador Dalí, René Magritte, Max Ernst, Joan Mirò, Paul Klee, Giorgio de Chirico. In jedem ihrer surrealistischen Traumgemälde vermitteln sie den Traum als eine Erfahrung auf halbem Weg zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren.

Man Ray ist vor allem für seine ikonischen surrealistischen Fotografien bekannt. Dennoch sind seine Illustrationen für die Sammlung Free Hands in Zusammenarbeit mit Paul Eluard beeindruckend. In vielen seiner Zeichnungen findet sich ein traumähnliches Universum, wie Man Ray sagte: „Wenn ich morgens nach dem Aufwachen einen Traum habe, zeichne ich ihn sofort. Viele der Zeichnungen in Free Hands sind Traumzeichnungen. “ 

In The Broken Bridge sind die Beine der nackten, langgestreckten Frau angewinkelt, wie eine Verlängerung der zerstörten Brücke. Ihr verträumtes Gesicht und ihr langes Haar spiegeln sich im Wasser der Rhone und beflügeln die Fantasie des Betrachters.

Man Ray Broken Bridge
Man Ray, The Broken Bridge, 1937

The Turning Point, eine weitere Illustration von Man Ray, ist eine Metapher für die endlosen Darstellungen, die surreale Träume hervorrufen können. Die scharfe Kurve verbirgt, was den Reisenden erwartet. Wem gehört die unproportionierte Hand eigentlich? Der surrealistische Ansatz lehnt Endgültigkeit und Zweckmäßigkeit zugunsten des Imaginären und Unbeschreiblichen ab.

turning point man ray
Man Ray, Turning point, 1936

Zeitgenössische Kunst: eine Fülle von Traumdarstellungen

Obwohl der Traum in der Kunst ein Thema ist, das im Laufe der Jahre immer wieder neu erfunden wurde, gibt es in der zeitgenössischen Szene immer noch viele, die ihn darstellen. Darstellungen von Träumen gibt es in Hülle und Fülle, und die Künstler lassen sich eindeutig von vergangenen Bewegungen inspirieren.  

Durch die Linse von Julie Lagier erhalten Objekte und weibliche Figuren eine ungewöhnliche Dimension. Inspiriert vom Surrealismus, geht ihre Kunst von ihren Träumen aus, die sie neu interpretiert und auf eine verschwommene und ausweichende Weise darstellt. In ihrer Auseinandersetzung mit dem Surrealismus und der Traumkunst sind ihre Fotografien lustvoll verzerrt und manchmal für den Außenstehenden unverständlich.

julie lagier woman photo
Julie Lagier, La sortie, 2018
gabrielle rul en passant
Gabrielle Rul, En passant, 2020



Traumkunst, ein unsterblicher Gestaltwandler 

chagall
Marc Chagall, Paysage Bleu, 1949

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Traumkunst, ganz gleich, ob es sich um Darstellungen des Jenseits oder des Unterbewusstseins handelt, um die Übertragung des Imaginären in unsere eigene Welt, unabhängig von ihrer Form, immer etwas Starkes in uns hervorruft. Sie vereint das Persönliche und das Intime, das Fantastische und das Alptraumhafte, aber auch das Prophetische und das Göttliche. Künstler, ob zeitgenössisch oder nicht, werden uns mit ihren Erkundungen der Traumkunst immer wieder aufs Neue verblüffen.




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